Wilhelm II und die Reichslande - Kaisertage in Elsaß-Lothringen


 

Arne Schöfert

 

Wilhelms Verhältnis zu Elsaß-Lothringen erinnert im Rückblick an eine nur zaghaft erwiderte Liebe. Er hatte große Sympathien für das Land und die Leute, wußte aber natürlich auch, daß die neue Zugehörigkeit nach 1871 zum Deutschen Reich nur von einem Teil der Bewohner begrüßt wurde. Allgemein im Elsaß mehr als in Lothringen, was nicht nur an den Sprachverhältnissen lag. Dazu kam das Misstrauen der Reichsregierung gegenüber den neuen Landsleuten, was sich in den beschränkten politischen Freiheiten und einer Art militärischem Besatzungsstatus wiederspiegelte. Die Vielzahl von Garnisonen mit Militärs aus anderen Reichsgebieten war einerseits zum Schutz der Grenze zu Frankreich, hatte aber andererseits auch den Charakter einer Besatzung, was nicht ohne Spannungen verlief – Stichwort „Zabern-Affäre“. Die Bewohner mußten sogar Pässe beim Reisen vorweisen, was sie noch mehr zu einer Art Ausländer im eigenen Reich machte.

 

 

 

Frühe Karte von 1871, noch mit den Orten gewonnener Schlachten

 

Erst 1902 veranlasste der Kaiser den Wegfall des sogenannten Diktaturparagraphen (§10 des Reichsgesetzes für Elsaß-Lothringen von 1871), was einen Fortschritt zur Selbstverwaltung bedeutete. Es hatte 14 Jahre Regierungszeit und sehr viele Reisen in die Reichslande gebraucht, bis er das Gefühl hatte, das die Elsaß-Lothringer nach 31 Jahre Zugehörigkeit zum Reich soweit waren und sich die neuen Verhältnisse gefestigt hatten.
Mittlerweile war Elsaß-Lothringen zu einem seiner beliebtesten Reisezeile geworden. Obwohl er dort weder ein Jagdrevier hatte noch mit der Kaiserlichen Yacht Hohenzollern anlegen konnte, führte es ihn immer wieder in die Reichslande. Besonders Straßburg, für das er „schon immer eine Sympathie hatte“, „heimelte“ ihn nach eigenen Worten an. Hier wurde in der Hauptstadt der Reichslande auch der Kaiserpalast erbaut. Seine zwei Pflöcke im Sinne von privaten Stammsitzen schlug er aber an anderen Stellen ein, die Hohkönigsburg liegt knapp 60 Kilometer entfernt und das Schloß Urville 20 Kilometer östlich von Metz.
Anhand Schröders Tagebuch der ersten 20 Jahre Regierungszeit Wilhelm II. und der Listung seiner offiziellen Reden von 1888 bis 1912 lassen sich viele Aufenthalte nachvollziehen. Beim ersten Besuch als Kaiser im Rahmen der „Kaisertage“ in Straßburg (August 1889) erwähnte er, daß er nun zum dritten Mal hier sei. Auf seine vorherigen Besuche als junger Kronprinz ging er nicht weiter ein. Es sollte lange dauern, bis heraus kam, daß er damals eine Liaison mit einer Straßburger Edel-Prostituierten hatte, aus der angeblich sogar eine uneheliche Tochter erwachsen ist…
Der Begriff „Kaisertage“ ist schwer einzugrenzen. Reichsweit wurden mehrtägige Besuche des Kaisers mit einem Programm, wie Paraden oder Manövern so genannt. Manchmal scheinbar auch nur von geschäftstüchtigen Ansichtskartenverlagen und in den Zeitungen wiederum nicht. Wenn man einen hohen Maßstab ansetzt und nicht jeden längeren Besuch als große Festivität ansetzt, kann man von drei Kaisertagen im Reichsland 1898, 1905 und 1908 ausgehen – wovon der erste Besuch Wilhelms II. sicher die spektakulärste Veranstaltung war.
Ein Hinweis für die Numismatiker: schöne Erinnerungsmedaillen kenne ich davon nicht. Nur einfache Zink oder Aluminiummedaillen mit Trageösen zu Kaiserparaden oder –manövern.

20.08.1889 Straßburg (Kaisertage Elsaß-Lothringen, Einweihung Kaiserpalast)

Trinkspruch des Kaisers beim Mittagsmahl:

„Ich danke für den herzlichen Empfang, den ich hier gefunden. Ich bin zum drittenmal in Straßburg und kann sagen, die Stadt heimelt mich an. Ich fordere Sie auf, mit mir zu trinken auf das Wohl der Reichslande Elsaß-Lothringen, der Stadt Straßburg und des Statthalters und seiner Gemahlin.“

 
 
23.08.1889 Metz

24.04.1890 Straßburg

03.09.1893 Metz
(Denkmaleinweihung Wilhelm I.)
 
 
09.09.1893 Straßburg (Tagesbesuch mit Kronprinz Viktor Emanuel von Italien)
16.10.1895 Urville (Mehrtägige Besichtigung der Schlachtfelder von 1870/71. Metz, Gravelotte, Colombay, Noiseville etc.)
 
 
04.05.1899 Besichtigung der Ruine der Hohkönigsburg, Annahme der Schenkung am folgenden Tag in Straßburg
 
 
11.05.1899 Besichtigung der Schlachtfelder und Denkmäler von St.Privat

18.08.1899 Denkmalenthüllung des 1.Garde Regiments zu Fuß in St. Privat, Kaisermanöver
 
 
06.09.1899 Straßburg – Besuch beim Kunstgewerbemuseum
 
 
14.05.1900 Metz

10.05.1901 Straßburg – Kaisertage (Besichtigung Metzer Fort „Graf Baeseler“)
 
 
15.05.1901 Urville

03.12.1901 Vereidigung des Weihbischofs von Straßburg

09.05.1902 Hohkönigsburg (Erlass an den Statthalter von Elsaß-Lothringen zur Aufhebung des Diktaturparagraphen)

21.05.1902 Urville
Rede an den Vorstand des Landesausschusses mit Verkündung der Aufhebung:
 

„Meine Herren! Ich heiße Sie mit Freuden bei mir am heutigen Tage willkommen. Die Aufhebung des Diktaturparagraphen ist ein langjähriger Wunsch der Bevölkerung des Reichslandes gewesen. Ich fand denselben vor, als ich den Thron bestieg. Daß ich diesem Wunsch nicht sofort in den ersten Jahren meiner Regierung stattgegeben habe, beruht auf zwei Gründen. Einmal mußte ich erst die Liebe und Treue meiner Untertanen gewinnen und das verständnisvolle Vertrauen meiner Kollegen, der Bundesfürsten. Mir erwerben; zum anderen begegnete mir das Ausland bei meinem Regierungsantritt mit tiefem, wenn auch unbegründetem Mißtrauen, da es voraussetzte, daß ich nach dem Lorbeer kriegerischer Erfolge strebe. Demgegenüber war es meine Aufgabe, das Ausland zu überzeugen, daß der neue Deutsche Kaiser und das Reich ihre Kraft der Erhaltung des Friedens widmen gewillt seien. Diese Aufgaben bedurften einer großen Spanne Zeit zu ihrer Verwirklichung. Das deutsche Volk weiß nun, welche Wege ich zu seinem Heil zu wandeln entschlossen bin. Seine Fürsten stehen mir treu zur Seite mit Rat und Tat. Das Ausland, weit davon entfernt, in uns eine Bedrohung des Friedens zu erblicken, ist gewohnt, mit uns als einem felsenfesten Hort des Friedens zu rechnen. Nachdem nunmehr das Reich im Inneren befestigt und nach außen eine überall geachtete Stellung erlangt hat, erachte ich im Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts den Augenblick für gekommen, in dem ich der Bevölkerung des Reichslandes diesen Beweis meines kaiserlich Wohlwollens und Vertrauens zu geben imstande bin. Der Entschluß wird mir um so leichter, als im Laufe meiner Regierung die Beziehungen zwischen den Elsaß-Lothringern und mir sich immer intimer gestaltet und er Empfang seitens der Bevölkerung immer wärmer geworden ist. Nehmen Sie, meine Herren, nochmals meinen Dank für die loyale Haltung des Reichslandes entgegen, auf die ich unbedingt baue. Der Wunsch, mit dem Ihre Adresse schließt (*), wird, so hoffe ich bestimmt, mit Gottes Hilfe, für uns beide in Erfüllung gehen.“

 Postkarte in Elsässer Mundart zur Feier der Abschaffung

 

(*) „Wir alle sehen zu Gott, daß der Akt hoher Staatsweisheit Eurer Majestät dem Reiche und unserem Vaterlande zum Segen gereichen möge.“

 
12.05.1903 Parade in Straßburg
14.05.1903 Metz. Einweihung des neuen Christusportals am Dom
 

 
27.04.1904 Straßburg (Durchreise nach Karlsruhe)

13.05.1904 Metz (Durchreise nach Saarbrücken)

08 -10.05.1905 Straßburg

11.05.1905 Gravelotte

15.05.1905 Metz – Kaisertage
 
 

11.05.1906 Straßburg

14.05.1906 Urville

15.05.1906 Metz

17.05.1906 Urville

18.05.1906 Diedenhofen

27.04.1907 Straßburg

28./29.04.1907 Schlettstadt
, Besichtigung des Wiederaufbaus der Hohkönigsburg. Automobil-Rundfahrt (Ittenheim, Warlenheim, Wasselnheim, Romansweiler, Dagsburg, Engenthal u.s.w.)

 

 

 
30.04.1907 Straßburg

13.05.1908 Einweihung der Hohkönigsburg
 

 
26.-27.07.1908 Metz - Kaisertage Reichslande
 
 
28.-30.07.1908 Straßburg (Kaisermanöver)
 

 

 
Empfang vom Bürgermeister mit Handschlag – man kennt sich inzwischen. Rechts, das war dem „Petit Journal“ eine ganze Seite wert: ein französischer Veteran von 1870/71 darf bei der Kaiserparade seine alte französische Flagge zum Fenster heraus hängen.
 
11.09.1908 Colmar

08.05.1911 Straßburg (…)

04.04.1918 Letzter Tag auf der Hohkönigsburg
 

 
Literaturauswahl:
 
„Zwanzig Jahre Regierungszeit- Ein Tagebuch Kaiser Wilhelms II.“, E. Schröder, 1909

„Die Reden Kaiser Wilhelms II.“ Bände 1-4, J. Penzler und Dr. B. Krieger, 1896-1913

„Kaiser Wilhelm II und Kaiserin Auguste Viktoria“, J. G. Obst, 1904

„Kaiser Wilhelm II. als Schloßherr auf elsässischem und auf lothringischem Boden“ E. Hauviller, 1913

„Reichsland Elsass-Lothringen: Regierung und Verwaltung 1871 bis 1918“, Max Rehm 1991

„Wilhelm II und das Reichsland Elsass-Lothringen“ G. Thoß, 2015

„Enthüllt: Kaiser Wilhelms Sex-Skandal. "Die Zeit" beleuchtet das Verhältnis von Wilhelm II. mit einer Edel-Prostituierten 1879 in Straßburg. Hamburger Abendblatt 23.03.2001

„Kaiser Wilhelm II., Straßburger Kaisertage und der Hauptmann von Köpenick einmal anders“
R.B. Herden, 2003
 

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